Der Koch und der Künstler

Jan Peter Tripp und Edy Ledig - Portrait einer Freundschaft

Reportage erschienen im Magazin baden. der Badischen Zeitung.

Auszug: Vorbei an flach abfallenden Hügeln, gesäumt von sattgrünen Weinreben, führt eine schmale, gewundene Straße hinauf nach Mittelbergheim. Mit gerade einmal 660 Einwohnern ein ruhiger, von jeglicher Hektik befreiter Ort am Fuße der Vogesen. Edy Ledig, Gewürzguru, Koch und Gastgeber des Hotel-Restaurant Glattfelder aus dem benachbarten Kinzigtal, jenseits der deutsch-französischen Grenze, geht zielstrebig auf ein bläulich schimmerndes Fachwerkhaus zu, welches von einer niedrigen Mauer umschlossen ist. Zweimal schlägt er den metallenen Türklopfer und tritt, ohne eine Antwort abzuwarten, durch das weiße Tor. Im Innenhof erwartet ihn bereits, Zigarillo rauchend, sein langjähriger Freund, der Maler und Grafiker Jan Peter Tripp. Schon Jahre bevor sich die zwei kennenlernten, war Ledig ein großer Bewunderer der Werke Tripps. Damit es jedoch zu einem persönlichen Aufeinandertreffen kommen konnte, musste erst Fortuna, die römische Göttin des Glücks, ihr Füllhorn über den beiden ausleeren.

Heiligabend 1998. Ein Klempner aus Straßburg genießt sein Mittagessen im Glattfelder. Er kommt mit dem Gastgeber ins Gespräch. Man redet über das Essen, das Trinken und den Alltag. Irgendwann verschiebt sich die Unterhaltung auf die Kunst, die Malerei und schließlich auf den Künstler Jan Peter Tripp. Ledig erzählt von seiner Leidenschaft und Bewunderung für dessen Werk, und wie es der Zufall so will - der Klempner muss just an jenem Heiligabend noch nach Mittelbergheim fahren, um die verstopfte Toilette des Malers zu reparieren. Ungünstigerweise besitzt er keine Rohrreinigungsspirale, Ledig jedoch schon. Er leiht sie ihm unter der Bedingung mitkommen zu dürfen und so lernen sich der Koch und der Künstler kennen.

Zurück in Mittelbergheim. Ledig und Tripp haben es sich in dem weitläufigen Garten, im Schatten einer mächtigen Rotbuche mit einem 1976er-Armagnac gemütlich gemacht, den Dienst am Glase verrichten, wie Tripp es nennt. „Nachdem ich die ersten Male bei Edy essen war, hat er mir von dem Plan erzählt, dass in seinem Restaurant irgendwann nur noch meine Bilder hängen sollen. Ehrlich gesagt hielt ich das für relativ größenwahnsinnig oder zumindest ambitioniert.“ Damals, vor beinahe zwanzig Jahren, befand sich die Freundschaft noch in den Kinderschuhen. Betritt man heute die Gaststube in Ortenberg, sieht man, dass der Plan aufgegangen ist. Die Wände sind übersät mit Radierungen, Zeichnungen und Malereien des hochgehandelten Künstlers. Kunst und Kulinarik, Malerei und gute Küche - beeinflusst sich das gegenseitig? Findet gar ein kreativer Austausch statt? Die beiden Männer bejahen. „Allerdings ist es schwierig, diese Wechselwirkung genau zu benennen“, sagt Tripp während er eine Zigarette anzündet und einen genussvollen Schluck der bernsteinfarbenen Spirituose zu sich nimmt. „So einen Austausch könnte man zum Beispiel an einer Geschichte festmachen. Irgendwann, vor Jahren, bin ich mit Edy und seiner Frau Renate in die Bretagne nach Cancale gefahren. Dort waren wir bei dem Drei-Sterne-Koch Olivier Roellinger essen, der gleichzeitig eine kleine Bäckerei und einen Gewürzladen betrieb. Auf der Rückfahrt habe ich Edy im Rückspiegel beobachtet. Ich sah, dass er trotz der langen Fahrt kein Auge zu tat, sondern sehr nachdenklich und in sich versunken wirkte. Wir waren kaum wieder in Ortenberg angekommen, als er mir davon erzählte, wie sehr ihn der Gewürzladen und die Produkte dort beeindruckt hatten. Das war der Beginn seiner eigenen Gewürzmanufaktur.“ Zweifel ob des Erfolgs blieben beim Meister jedoch auch nach dem Startschuss bestehen. „Jan hat zu Anfang gesagt: 'Deine Sachen sind zwar hervorragend, aber über die Region wirst du damit nicht hinaus kommen.' Daraufhin habe ich erst richtig Gas gegeben, das hat mich dazu angespornt es eben doch über die Region hinaus zu schaffen.“ Und wie sein Plan, den Gastraum ausschließlich mit echten Tripps zu schmücken, gelang ihm auch dieses Unterfangen. Der Künstler wiederum, glaubt die Einflüsse des Gastronomen deutlich in seiner eigenen Weise Lebensmittel zuzubereiten wieder zu erkennen. „Über das Kochen und über Gewürze habe ich unglaublich viel von ihm gelernt. Meine Küche sieht heute ganz anders aus als vor unserem Kennenlernen. In gewisser Weise hat er mich kulinarisch erzogen und weitergebildet.“

Es ist bereits später Nachmittag und die Sonne zieht beständig ihre Bahn gen Westen, um in wenigen Stunden hinter den Gipfeln der Vogesen unterzutauchen. Die letzten Tropfen des Armagnac werden ihrer Bestimmung zugeführt, dann machen sich die zwei Freunde auf in das Atelier von Tripp. Der Weg führt steil bergauf, weiter in das Dorf hinein. In den Schatten der tief hängenden Dächer haben sich einige Katzen ausgestreckt, um der Schwüle des Sommers zu entkommen. Am Rande einer hüfthohen Mauer hält Ledig inne und blickt in das, sich vor ihm ausbreitende Rheintal hinab. Wie wirkt sich eine solche Landschaft auf die Arbeit eines Kochs und eines Malers aus? Wirkt sie sich überhaupt aus? Für den gebürtigen Elsässer Ledig ist die Sache klar: „ Die Küche wird natürlich immer von der Regionalität der Produkte beeinflusst. Die Natur gibt vor was auf der Speisekarte landet. Gerade hier in der Region, mit dem Weinbau und der Nähe zu Frankreich. Baden und das Elsass sind zwar durch den Rhein getrennt, aber die Menschen sind die gleichen. Die Grenze ist ja nur eine imaginäre Linie, die irgendwann von irgendwem gezogen wurde.“ Tripp hingegen muss etwas länger nach einer Antwort suchen, bis er schließlich sagt: „Diese Frage habe ich mir schon oft gestellt weil Orte eigentlich immer Spuren in der Arbeit eines Künstlers, sei er Schriftsteller, sei er Maler, hinterlassen.“ Für sich selbst habe er jedoch festgestellt, dass dies auf sein Schaffen nicht zuträfe. „Aber wer weiß, vielleicht können das Außenstehende besser beurteilen.“ Der Eingang zum Atelier befindet sich in einem Hinterhof. Es ist ein hoher, heller Raum mit einer breiten, nach Norden gerichteten Fensterfront. Beständiges Nordlicht ist Grundvoraussetzung um zu malen, eine andere ist Zeit. Um einen Begriff von ihr zu haben und um stets daran erinnert zu werden nicht in Eile zu verfallen, hängt an der Wand gegenüber eine sechsmillionen Jahre alte Versteinerung. Zur Rechten sind zwei Staffeleien aufgebaut. Die Leinwand auf der ersten zeigt ein noch nicht vollendetes Portrait eines Paares. Auf der zweiten Leinwand ist ein stolzer Pfau auf grüner Wiese zu sehen, wie er sich in einem rechteckigen Spiegel betrachtet. „Der ist mir sozusagen zugeflogen, von meinem Freund Yvon, dem Gärtner, dessen Gelände sich unterhalb meines Hauses befinden und hat sich für einige Zeit in meinem Garten eingenistet.“ Tripp stellte den Spiegel auf und wartete auf den richtigen Moment um die Fotografie anzufertigen, auf deren Grundlage er dann malte. Mehrere Wochen vergingen, in denen das Tier um dieses merkwürdig glänzende Ding herumschlich, bis schließlich der Moment, die Position und das Licht stimmten. Dann, so still und leise wie er gekommen war, verschwand er auch wieder, als sei sich der Vogel bewusst gewesen, dass er seinen Teil der Aufgabe erfüllt hatte.

Während sich Tripp, zurückgelehnt in einen kastanienfarbenen Holzstuhl, eine weitere Zigarette anzündet, wandert Ledig suchend durch den Raum, bleibt hier und da stehen und betrachtet die Bilder und Gegenstände, die sich über die Jahrzehnte angesammelt haben, als sei es sein erster Besuch im Atelier, als habe er sie nicht schon dutzendfach gesehen. Immer noch scheinen sie ihn zu faszinieren, zu berühren, ihm die Worte zu nehmen, mit denen er seine Eindrücke artikulieren könnte. Und Tripp, was denkt er rückblickend mit einer Erfahrung von fünfzig Jahren als freischaffender Maler über die Welt der Bilder und Künste? „Ich vermeide das Wort Erfahrung, da es einen Wert suggeriert, der meiner Ansicht nach nicht gegeben ist. Man lernt mit der Zeit besser in sich selbst hinein zu horchen und auf die Neugierde und Intuition zu vertrauen“, langsam bläst er den blauen Qualm aus, „Was den Kunstmarkt als solches angeht? Ich will es einmal so sagen: heute muss man sich auf Ausstellungen und in Katalogen teilweise durch bildbegleitende Texte quälen, die an Idiotie nicht zu überbieten sind.“ Dies haben Kunst und Kulinarik dann wohl gemeinsam.